Die "Gorgonzola"-Kluft vom Pizzo dell´Arzo

Ueli Wolf

Die Geschichte begann eigentlich schon 25 Jahre früher, als ich an einer mir damals noch unbekannten Felsrippe beim Pizzo dell´Arzo (Val Bavona TI) ein Quarzband entdeckte. Dasselbe sah recht gut aus, war zirka 30 cm breit und zog in einen Felssims rein, auf dem man so leidlich sitzen konnte.

Das Band von damals

Es war der 7. Oktober 2012 und ich war wieder einmal in der Region unterwegs. Die oberen Zonen waren schon mit Neuschnee zugedeckt und der feuchte Nebel wanderte dicht um die Felsen. Da entschloss ich mich, nach stundenlangem ziemlich erfolglosem Suchen, es an diesem Tag noch gegen den See hinunter zu versuchen. Nach einigem Herumstreifen und ein paar gefundenen Spitzen war ich eigentlich zufrieden. Ich stellte mich schon auf einen zeitigen Heimweg ein, als ich dieses ominöse Quarzband von damals wieder erblickte und meine Gehirnwindungen die Erinnerungen hervorkramte.

Ich studierte nochmals die Anzeichen und war jetzt über mein damaliges Aufgeben schon etwas konsterniert. Mit dem Pickel erarbeitete ich mir einen einigermassen bequemen Arbeitsplatz, dann fing ich an, mit Hammer und Meissel die kleine Öffnung zu erweitern, Zum «Glück» war der anstehende Fels recht hart, sodass ich an diesem sehr feuchtkühlen Tag doch noch zu einer angenehmen Körperwärme kam.

Endlich konnte ich mit beiden Händen das reingepresse Geröll entfernen und arbeitete mich nach unten und hinten. Nach ungefähr einer Stunde Geröll graben hatte ich mich bis 50 cm tief und 70 cm nach hinten in die Kluft gebuddelt. Da kam mir der Gedanke, ob der Gletscher hier vielleicht die ganze Füllung (analog anderer erfolgloser Klüfte) schon rausgesogen hatte.

Aber nein, sagte ich mir, mit der kleinen Anfangsöffnung war das unmöglich. Tatsächlich konnte ich nur 5 Minuten später die ersten Bandquarze und Kristallscherben herausfischen. Darauf folgte ein rund 10 cm grosser Quarz, der marmorisierte Schlieren aufwies. Es könnte also interessante Quarze geben, wenn auch nicht ganz glasige Stücke; konstatierte ich mit etwas Zweifel und etwas Optimismus.

Des Rätsels Lösung musste ich ab doch noch etwas vertagen. Ein grösserer Kluftwandblock war schräg über die ganze Kluft abgesackt. Dazu benötigte ich gröberes Werkzeug und mittlerweile war es auch Zeit zum Aufbruch, wollte ich doch die Seilbahn ins Tal nicht verpassen. So durfte ich einen Winter lang überlegen und mir ausmalen, was mich hinter dieser versperrten Kluftwand erwartete.

Neugierige Steingeiss

Die Kluft ist voll

Am 28. Juli 2013 war es soweit, der Schnee an dieser steilen Flanke war abgerutscht und ich, bis an die Zähne mit allem möglichen Werkzeug bewaffnet, konnte vor Ort weiterarbeiten. Also mit frischen Kräften zuerst mal die Kluftöffnung so weit wie möglich erweitern, Nach einer halben Stunde war das geschafft und schnell hatte ich auch den Block gelöst. Nachdem ich ihn in der Kluft halbiert hatte, passte er auch durch das Eingangsloch. Was nun begann, kann man eigentlich nur nachempfinden, wenn man schon selber eine gut gefüllte Kluft mit Quarzen gefunden hat. Adrenalin und Glücksgefühle breiteten sich im Körper aus, als hinter Felsriegel grössere Flächen, kleinere Quarze und ein erster perfekter 25 cm langer Spitz zu sehen war. Bruno Oscar, der damalige Chef vom Hotel Robiei, war dann von diesem Spitz so angetan, dass er jetzt bei ihm zu hause steht.

Nun folgten auf der ganzen Breite und Tiefe Quarze mit schönen Tessiner Formen. Die meisten Quarze wiesen marmorierte Stellen auf und in der oberen Quarzschicht waren so blaugrüne Einschlüsse zu sehen, was dann auch zum speziellen Kluftnamen führte.

An diesem und dem nächsten tag war der Rucksack schnell gefüllt, aber weil es so schön war, erntete ich noch eine Weile, bis ich kaum mehr Platz zum deponieren hatte. Die überzähligen Kristalle versteckte ich in der Nähe und die Kluftöffnung tarnte ich so gut wie möglich, denn hinten in der Kluft sah man weitere Spitzen aus dem Kluftgries rausschauen.

30 er Zinken zeigen sich

Der schönste bei der Bergung.

Eine sehr lange Woche später kam ich ganz ungeduldig in Robiei an, um so schnell wie möglich zur Gorgonzolakluft zu gelangen. Stefan Weiss war mit Mischa Crumbach auch vor Ort und ich lud sie zu einem Augenschein auf ihrem Rückweg ein.

An diesem Tag kamen grössere Quarze zum Vorschein, einige zwischen 25 bis 35 cm lang. So war ich sehr froh, als Stefan am Nachmittag auftauchte, die analytischen Fähigkeiten des Mineralogen in Bezug auf Lage, Winkel und Inhalt der Kluft spielen liess und mir schliesslich half, einen Teil des Fundes nach Robiei zu tragen. In der Folge bearbeitete ich diese Kluft noch 3 Mal, der längste gebastelte Grübler war schlussendlich 3 Meter lang. Auch meinen ehemaligen, langjährigen Strahlerfreund Roli konnte ich noch motivieren, wieder mal die Nase in eine grössere Kluft zu stecken.

An der Arbeit (Foto: Stafan Weiss)

Stilleben vor der Kluft

Die Einschlüsse als Namensgeber de Kluft (Foto: Deborah Spinelli)

Die Mineralisation dieser Kluft war ziemlich einfach: Quarz, Adular und Chlorit als Einschlüsse in den Quarzen. Viele Quarze wiesen schöne Tessiner Formen auf und machten rund 95 Prozent des Fundgutes aus.

Dann gab es da noch die Episode mit dem Trauen oder Vertrauen: Leider hört und liest man ja immer wieder Geschichten von Kluftbesuchern mit gewissen negativen Charaktereigenschaften Ich selber hatte am Arzo wie auch im nahen Cavagnoligebiet schon zweimal ungebetenen Besuch und bin daher etwas vorbelastet.

Auch wenn ich grundsätzlich an das Gute glaube, bekam ich es an einem dieser Strahlertage trotzdem nochmals mit einer grösseren Unruhe zu tun. Als ich im Hotel ankam, erzählte mir Bruno, dass ein Strahler am Tag zuvor einen grösseren Spitz gefunden hätte, aber er wüsste nicht von welchem Gebiet. Derselbe Strahler war noch vor Ort und nahm den gleichen Weg wie ich. Auch wenn er ziemlich langsam lief, ich lief noch langsamer, wollte ich doch sein angestrebtes Zielgebiet wissen.

Zirka 300 m vor meiner Kluft bog er dann auf die andere Seite ab. Puhhh, also Adrenalin runterfahren, noch freundlich winken und schnell hinter den Felden verschwinden.

An diesem Tag durfte ich den für mich schönsten 30 cm Spitz rausziehen, dessen Spitze eine Woche lang aus dem Kluftgries rausgeschaut hatte. Das war ja auch der Grund für meine Unruhe gewesen.

Mittlerweile wurde es im tiefsten und hintersten Teil der Kluft ziemlich hart, und ich konnte auch mit meiner Verlängerung nicht mehr viel ausrichten. Da beschloss ich, hier vorderhand aufzuhören, den Fund zu geniessen, und es nach ein paar Wintern wieder mal zu probieren.

Es sind nun aber schon sieben Winter verflossen und ich habe es nie mehr zu dieser Kluft geschafft. Sie wäre nun schon lange frei für eine Nachbearbeitung, aber nur mit sehr langem Werkzeug...

Ein paar gereinigte Spitzen (der Längste ca. 25 cm) Foto: Deborah Spinelli


Dieser Erlebnisbericht wurde in der Zeitschrift "Schweizer Strahler" 04/2021 publiziert. Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers.

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